1 Der Inhalt des 69. Psalms macht es sehr unwahrscheinlich, daß David der Verfasser ist. Denn David hat nicht Verfolgung leiden müssen, weil er um den Tempel Gottes eiferte (V.10); zu seiner Zeit gab es in Israel auch noch keine Märtyrer um des Glaubens willen (V.27). Manche denken an den Propheten Jeremia als Verfasser. Und in der Tat, verschiedene Umstände in seiner Lebensgeschichte stimmen auch sehr gut mit unserem Psalm überein; vgl. Jer. 11,18ff.; 15,15-18; 38,6; Klag. 3,52-66. V.27, der wahrscheinlich auf Märtyrer hinweist, würde aber besser für die Verfolgungszeit passen, die die Juden unter dem syrischen König Antiochus Epiphanes durchzumachen hatten. Kurz, es ist unmöglich, den Verfasser und die Entstehungszeit unseres Psalms sicher zu bestimmen. - Abgesehen von Ps. 22 wird auf keinen Psalm im Neuen Testament so oft verwiesen wie auf Ps. 69. V.5 findet sich in Joh. 15,25: Jesus wurde von seinen Feinden grundlos gehaßt. V.10a findet sich in Joh. 2,17: Jesus wurde von dem Eifer um den Tempel Gottes verzehrt. V.10b wird auch von Paulus in Röm. 15,3 auf Jesus gedeutet, der in seiner selbstverleugnenden Hingebung in den Dienst seines Vaters auch den Haß seiner Feinde willig auf sich genommen hat. V.22 erfüllte sich an dem gekreuzigten Heiland (Matth. 27,34.48). V.23 und 24 haben sich nach Röm. 11,9f. an den Juden infolge ihrer Verwerfung Jesu erfüllt. V.26 folgt aus Jesu Munde in Matth. 23,38 unmittelbar auf Worte der innigsten Liebe. In Apg. 1,20 wird dieser Vers auf den Verräter Judas bezogen. - Die Worte in V.23-29 sind übrigens kein Ausfluß persönlicher Rachsucht. Sie drücken vielmehr den Wunsch aus, Gott möge die Gerichte vollstrecken, die er um seiner Ehre willen und zur Errettung seiner Knechte kommen lassen muß.Dem Sangmeister, nach (der Weise von:) "Lilien" Vgl. Ps. 45,1.. Von David.
2 Hilf mir, Elohim, / Denn die Wasser bedrohen mein Leben!
3 Versunken bin ich in tiefen Morast und kann nicht stehn; / Ich bin geraten in Wasserstrudel, es hat mich die Flut überströmt.
4 Ich bin müde vom Schrein, meine Kehle ist heiser; / Erloschen sind meine Augen, während ich harre auf meinen Gott.
5 Zahlreicher als meines Hauptes Haare sind, die mich grundlos hassen. / Mächtig sind, die mich zu vernichten suchen, / Die mich mit Unrecht befeinden. / Was ich nicht geraubt, das soll ich erstatten!
6 Elohim, du kennst meine Torheit, / Und mein Verschulden ist dir nicht verborgen. Ehe der Psalmist sein Leiden beschreibt, bekennt er bußfertig, daß er es verdient hat.
7 Laß nicht in mir zuschanden werden, die auf dich harren, / Adonái Jahwe der Heerscharen (Herr)! D.h. laß durch meinen Untergang nicht den Glauben aller derer zuschanden werden, die ebenso wie ich ihr Vertrauen auf deine Hilfe und Gnade gesetzt haben. Der Psalmist fürchtet also, der Glaube der Frommen könne leiden, wenn er selbst keine Erhörung finde. / Laß nicht um meinetwillen in Schimpf geraten, / Die dich, Gott Israels, suchen!
8 Denn meinetwegen habe ich Schmach ertragen, / Hat Schande mein Antlitz bedeckt. Der Psalmist leidet also im Dienst Gottes und zur Ehre seines Namens.
9 Fremd bin ich meinen Brüdern geworden / Und unbekannt meiner Mutter Söhnen. Selbst seine leiblichen Brüder wollen nichts mehr von ihm wissen.
10 Denn der Eifer um dein Haus hat mich verzehrt, / Und die Lästerungen derer, die dich schmähen, sind auf mich gefallen. Der Eifer um den Tempel ist die Ursache seines Leidens, und sein treues Festhalten an dem Gesetz erregt den Spott der Weltmenschen.
11 Wenn ich weinte bei meinem Fasten, / So ward ich deshalb verhöhnt. Er fastet und trauert wegen der Sünde seines Volkes, aber deshalb wird er desto mehr verspottet.
12 Und zog ich an ein härenes Kleid Zum Zeichen der Trauer., / So trieben sie ihren Spott mit mir.
13 Die im Tore sitzen, schwatzen von mir, / Die Lieder der Zecher verhöhnen mich. Überall, im Tore, wo nicht nur die Gerichtsverhandlungen stattfanden und Geschäfte erledigt wurden, sondern wo man sich auch gesellig versammelte, und bei Zechgelagen wird der Psalmist durchgehechelt und verspottet.
14 Ich aber, Jahwe, bete zu dir; nimm du es gnädig auf! Dem Hohn und Haß seiner Feinde setzt der Psalmist sein anhaltendes Gebet entgegen. / Antworte mir, Elohim, nach deiner großen Güte, / Nach deiner Treue, die Hilfe schenkt!
15 Entreiß mich dem Schlamm, daß ich nicht versinke! / Von meinen Feinden errette mich, / Zieh mich aus den Wassertiefen!
16 Laß mich die Fluten nicht überströmen, / Laß den Strudel mich nicht verschlingen, / Nicht schließe der Brunnen sich über mir!
17 Erhöre mich, Jahwe; denn deine Huld ist köstlich; / Nach deinem großen Erbarmen kehr dich zu mir!
18 Verbirg dein Antlitz nicht vor deinem Knechte! / Denn mir ist angst; antworte mir eilends!
19 O nahe du meiner Seele, erlöse sie, / Um meiner Feinde willen mache mich frei! Gottes Ehre wird es nicht zulassen, daß der Gerechte von seinen Feinden vernichtet wird.
20 Du weißt ja, daß Schmach und Schande und Schimpf mein Teil gewesen; / All meine Dränger sind dir bekannt.
21 Die Schmach hat mein Herz gebrochen: ich sieche dahin. / Ich dachte, Mitleid zu finden, doch nein! / Ich hoffte auf Tröster und fand sie nicht.
22 Vielmehr ward mir Gift in die Speise gemischt, / Mit Essig tränkte man mich in meinem Durst.
23 Ihr Tisch soll ihnen zur Schlinge werden, / Zum Fallstrick, während sie sorglos sind. Der in der Wüste übliche Tisch ist eine auf den Boden hingebreitete Lederdecke; so versteht man den Übergang des Tisches in eine Schlinge (Franz Delitzsch). Das Bild sagt: Laß sie mitten in ihrem Glück und Überfluß, während sie sicher und sorglos dahinleben, vom Verderben übereilt werden!
24 Ihre Augen sollen finster werden und nicht mehr sehn. / Ihre Hüften laß immerdar wanken!
25 Gieß deinen Grimm auf sie aus, / Und deine Zornglut treffe sie!
26 Ihr Lager soll wüste werden Gemeint ist das Zeltlager der Nomaden, das von einem Zaun aus aufgeschichteten Steinen umgeben ist., / In ihren Zelten sei kein Bewohner!
27 Denn den du geschlagen, verfolgen sie Über den du, o Gott, zu seiner Züchtigung und Läuterung Leiden hast kommen lassen, den verfolgen sie noch mehr. / Und erzählen von deiner Durchbohrten Schmerz. Ist hier vielleicht an solche zu denken, die wegen ihres Eintretens für Gottes Wahrheit von den Feinden "durchbohrt" sind, die also den Märtyrertod erlitten haben und über die nun die Gottlosen noch höhnen und spotten?
28 Mehre du ihre Sündenschuld Damit auch ihre Strafe um so größer werde. / Und laß sie dein Heil nicht erlangen!
29 Tilge sie aus dem Lebensbuch / Und mit den Frommen schreib sie nicht auf! Trage ihre Namen nicht in das Buch des Lebens ein!
30 Doch ich bin gebeugt und schmerzbeladen, / Deine Hilfe, Elohim, sie wird mich schützen.
31 Dann will ich den Namen Gottes im Liede rühmen / Und ihn mit Danken erheben.
32 Das wird Jahwe besser gefallen als Rinder, / Als Stiere mit Hörnern und Klauen. Die Opfer der Lippen in Lobpreis und Gebet sind Gott wohlgefälliger als die Opfer von Tieren.
33 Sehen das Dulder Wie der Psalmist sein Dankopfer darbringt., so freuen sie sich. / Die ihr Gott sucht, euer Herz lebe auf! Durch die Errettung des gerechten Dulders sollen die Frommen in ihrem Glauben und Gottvertrauen gestärkt werden.
34 Denn Jahwe merkt auf die Armen, / Seine Gefangnen Die um Gottes willen Gefängnis und Elend erdulden müssen. verachtet er nicht.
35 Es sollen ihn loben Himmel und Erde, / Die Meere und alles, was drinnen sich regt.
36 Denn Elohim wird Zion helfen / Und bauen die Städte Judas, / Daß man dort wohne und sie besitze.
37 Seiner Knechte Nachkommen werden sie Die Städte Judas. erben; / Und die seinen Namen lieben, / Sollen darin ihre Wohnung haben.
1 Dem Chorleiter. Nach der Melodie "Lilien". Von David.
2 Rette mich, Gott, / das Wasser steht schon am Hals!
3 Ich versinke im strudelnden Moor; / meine Füße verlieren den Grund. / Ich bin in tiefes Wasser geraten, / die Strömung reißt mich weg.
4 Und vom Rufen bin ich erschöpft; / meine Kehle ist wund, und meine Augen sind matt / vom Warten auf meinen Gott.
5 Ich habe mehr Feinde als Haare auf dem Kopf, / und sie hassen mich ohne Grund. / Die mich vernichten wollen, sind mächtig. / Sie zwingen mich herauszugeben / den Raub, den ich nie nahm.
6 Du kennst meine Torheit, Gott, / und meine Vergehen sind dir bekannt.
7 Mein Herr Jahwe, Allmächtiger, / lass nicht zu, dass die, die auf dich hoffen, enttäuscht werden durch mich! / Du Gott Israels, / lass nicht zu, dass die, die dich suchen, beschämt sind wegen mir!
8 Weil ich dir gehöre, werde ich beschimpft. / Schamröte bedeckt mein Gesicht.
9 Ein Fremder bin ich für meine Brüder geworden, / ein Ausländer für meine Geschwister.
10 Denn der Eifer um dein Haus ist wie ein Feuer in mir, / und wenn sie dich beschimpfen, trifft es mich tief.
11 Als ich weinte und beim Fasten war, / verhöhnten sie mich.
12 Als ich Trauer trug, / gossen sie ihren Spott über mir aus.
13 Selbst im Rathaus schwatzen sie über mich, / und im Wirtshaus bin ich der Spottgesang.
14 Doch an dich, Jahwe, richte ich mein Gebet, / denn bei dir ist immer Gnadenzeit. / Hilf mir, Gott, denn deine Güte ist groß; / erhöre mich, denn auf dich ist Verlass.
15 Zieh mich aus dem Schlamm, / lass mich nicht versinken; / rette mich vor meinen Hassern, / ziehe mich aus tiefen Wassern.
16 Sonst spült die Strömung mich fort, / der Strudel zieht mich in die Tiefe / und die Grube schließt sich über mir.
17 Erhöre mich, Jahwe, denn deine Gnade tut gut! / In deinem großen Erbarmen wende dich mir zu.
18 Verbirg dein Gesicht nicht vor mir, / dein Sklave bin ich doch! / Ich bin voller Angst, / erhöre mich bald!
19 Komm bitte zu mir, erlöse mein Leben; / rette mich und mache meine Feinde still.
20 Du, du kennst meine Schmach, / den Schimpf und die Schande, / und meine Bedränger hast du im Blick.
21 Der Hohn brach mein Herz / und machte es unheilbar krank. / Auf Mitleid hoffte ich, es war umsonst; / auf Tröster, doch keiner war in Sicht.
22 Ins Essen haben sie mir Galle gegeben / und Essig für meinen Durst.
23 Ihr Tisch werde zur Falle für sie, / und zum Strick für die, / die sich so sicher sind.
24 Lass ihre Augen erlöschen / und ihre Hüften kraftlos sein.
25 Schütte deinen Zorn über sie aus, / die Glut deines Grimms erreiche sie bald!
26 Ihr Lagerplatz möge verwüstet / und ihre Zelte sollen menschenleer sein.
27 Denn sie haben den gejagt, den du geschlagen hast. / Schadenfroh erzählen sie vom Schmerz / bei denen, die du verwundet hast.
28 Schütte Schuld auf ihre Schuld / und erkläre sie nie für gerecht!
29 Lösche ihre Namen aus dem Buch des Lebens aus! / Sie sollen nicht bei den Gerechten stehen!
30 Ich aber bin elend und von Schmerzen geplagt. / Deine Hilfe, Gott, bringt mir Schutz.
31 Dann kann ich dich preisen im Lied / und dich hoch ehren mit Dank.
32 Das wird dich mehr erfreuen als ein Stier, / ein Opferstier mit Horn und Huf.
33 Die Gebeugten sehen es und werden froh. / Ihr, die ihr Gott vertraut, fasst neuen Mut!
34 Denn Jahwe hört der Hilflosen Schrei, / seine Gefangenen verachtet er nicht.
35 Loben sollen ihn Himmel und Erde, / die Meere und alles, was sich dort regt.
36 Denn Jahwe wird Zion befreien / und Judas Städte wieder bauen. / Dann wird sein Volk dort wohnen, / es besitzt wieder das Land. Die Söhne seiner Sklaven werden es erben, / und die seinen Namen lieben, wohnen darin.