1 Paulus aber richtete die Augen fest auf das Synedrium und sprach: Brüder! ich habe bis auf diesen Tag mit allem guten Gewissen (O. mit, für) vor Gott gewandelt.
2 Der Hohepriester Ananias aber befahl denen, die bei ihm standen, ihn auf den Mund zu schlagen.
3 Da sprach Paulus zu ihm: Gott wird dich schlagen, du getünchte Wand! Und sitzest du da, um mich nach dem Gesetz zu richten, und, wider das Gesetz handelnd, befiehlst du, mich zu schlagen?
4 Die Dabeistehenden aber sprachen: Schmähst du den Hohenpriester Gottes?
5 Und Paulus sprach: Ich wußte nicht, Brüder, daß es der Hohepriester ist; denn es steht geschrieben: "Dem Obersten (O. Fürsten) deines Volkes sollst du nicht übel reden". (2. Mose 22,28)
6 Da aber Paulus wußte, daß der eine Teil von den Sadducäern, der andere aber von den Pharisäern war, schrie er in dem Synedrium: Brüder, ich bin ein Pharisäer, eines Pharisäers Sohn; wegen der Hoffnung und der Auferstehung der Toten werde ich gerichtet.
7 Als er aber dies gesagt hatte, entstand ein Zwiespalt unter den Pharisäern und Sadducäern, und die Menge teilte sich.
8 Denn die Sadducäer sagen, es sei keine Auferstehung, noch Engel, noch Geist; die Pharisäer aber bekennen beides.
9 Es entstand aber ein großes Geschrei, und die Schriftgelehrten von der Partei der Pharisäer standen auf und stritten und sagten: Wir finden an diesem Menschen nichts Böses; wenn aber ein Geist oder ein Engel zu ihm geredet hat...
10 Als aber ein großer Zwiespalt (O. Aufruhr) entstand, fürchtete der Oberste über Tausend, Paulus möchte von ihnen zerrissen werden, und befahl, daß das Kriegsvolk hinabgehe und ihn aus ihrer Mitte wegreiße und in das Lager führe.
11 In der darauf folgenden Nacht aber stand der Herr bei ihm und sprach: Sei gutes Mutes! denn wie du von mir in Jerusalem gezeugt (Eig. das mich Betreffende bezeugt) hast, so mußt du auch in Rom zeugen.
12 Als es aber Tag geworden war, rotteten sich die Juden zusammen, verfluchten sich und sagten, daß sie weder essen noch trinken würden, bis sie Paulus getötet hätten.
13 Es waren aber mehr denn vierzig, die diese Verschwörung gemacht hatten,
14 die zu den Hohenpriestern und den Ältesten kamen und sprachen: Wir haben uns mit einem Fluch verflucht, nichts zu genießen, bis wir den Paulus getötet haben.
15 Zeiget ihr denn nun jetzt mit dem Synedrium dem Obersten über Tausend an, daß er ihn zu euch herabführe, als wolltet ihr seine Sache genauer erkennen; wir aber sind, ehe er nahe kommt, bereit ihn zu töten.
16 Als aber der Schwestersohn des Paulus von der Nachstellung gehört hatte, kam er hin und ging in das Lager und meldete es dem Paulus.
17 Paulus aber rief einen von den Hauptleuten zu sich und sagte: Führe diesen Jüngling zu dem Obersten über Tausend, denn er hat ihm etwas zu melden.
18 Der nun nahm ihn zu sich und führte ihn zu dem Obersten über Tausend und sagt: Der gefangene Paulus rief mich zu sich und bat mich, diesen Jüngling zu dir zu bringen, der dir etwas zu sagen habe.
19 Der Oberste über Tausend aber nahm ihn bei der Hand und zog sich mit ihm beiseits und fragte: Was ist es, das du mir zu melden hast?
20 Er aber sprach: Die Juden sind übereingekommen, dich zu bitten, daß du morgen den Paulus vor das Synedrium hinunter bringest, als ob sie etwas über ihn genauer erforschen wollten.
21 Du nun, laß dich nicht von ihnen überreden, denn mehr als vierzig Männer von ihnen stellen ihm nach, die sich verflucht haben, weder zu essen noch zu trinken, bis sie ihn umgebracht; und jetzt sind sie bereit und erwarten die Zusage von dir.
22 Der Oberste über Tausend nun entließ den Jüngling und befahl ihm: Sage zu niemandem, daß du mir dieses angezeigt hast.
23 Und als er zwei von den Hauptleuten gerufen hatte, sprach er: Machet zweihundert Kriegsknechte fertig, daß sie bis Cäsarea ziehen, und siebzig Reiter und zweihundert Lanzenträger, von der dritten Stunde der Nacht an.
24 Und man solle die Tiere fertig halten, auf daß sie den Paulus aufsetzten und sicher hinbrächten zu Felix, dem Landpfleger.
25 Und er schrieb einen Brief folgenden Inhalts:
26 Claudius Lysias dem vortrefflichsten Landpfleger Felix seinen Gruß!
27 Diesen Mann, der von den Juden ergriffen wurde und von ihnen getötet werden sollte, habe ich, mit dem Kriegsvolk einschreitend, entrissen, da ich erfuhr, daß er ein Römer sei.
28 Da ich aber die Ursache wissen wollte, weshalb sie ihn anklagten, führte ich ihn hinab in ihr Synedrium.
29 Da fand ich, daß er wegen Fragen ihres Gesetzes angeklagt werde, aber keine Anklage gegen ihn vorlag, die des Todes oder der Banden wert wäre.
30 Da mir aber ein Anschlag hinterbracht wurde, den die Juden wider den Mann vorhatten, habe ich ihn alsbald zu dir gesandt und auch den Klägern befohlen, vor dir zu sagen, was sie wider ihn hätten. Lebe wohl!
31 Die Kriegsknechte nun nahmen, wie ihnen befohlen war, den Paulus und führten ihn bei der Nacht gen Antipatris.
32 Am folgenden Tage aber ließen sie die Reiter mit ihm fortziehen und kehrten nach dem Lager zurück.
33 Und als diese nach Cäsarea gekommen, übergaben sie dem Landpfleger den Brief und stellten ihm auch den Paulus dar.
34 Als er ihn aber gelesen und gefragt hatte, aus welcher Provinz er sei, und erfahren, daß er aus Cilicien sei,
35 sprach er: Ich werde dich anhören, wenn deine Ankläger auch angekommen sind. Und er befahl, daß er in dem Prätorium des Herodes verwahrt werde.
1 Paulus sah den Hohen Rat mit festem Blick an und sprach: "Liebe Brüder, bis heute bin ich stets mit reinem Gewissen vor Gott gewandelt."
2 Bei diesen Worten befahl der Hohepriester Ananias Ein roher, gewalttätiger Mann, dessen Sinnlichkeit sprichwörtlich war, und der zur Erreichung seiner Pläne sogar die Hilfe der Dolchmänner (21,38) nicht verschmähte. den anwesenden Dienern, Paulus auf den Mund zu schlagen.
3 Da sprach Paulus zu ihm: "Gott wird dich schlagen Dich strafen wegen deiner Ungerechtigkeit., du getünchte Wand Die scheinbar fest ist, aber schnell zusammenstürzen wird (Hes. 13,10-15).! Du sitzt da, um mich nach dem Gesetz zu richten, und läßt mich schlagen im Widerspruch mit dem Gesetz?"
4 "Was? Du schmähst den Hohenpriester Gottes?", so fragen ihn die Diener.
5 "Brüder", versetzte Paulus, "ich habe nicht gewußt, daß hier ein Hoherpriester ist; steht doch geschrieben: Gegen einen Oberen deines Volkes sollst du nicht übel reden 2. Mos. 22,27. Paulus will vielleicht sagen: Wie kann ein Mann, der sich so benimmt, Hoherpriester sein wollen! Wäre er wirklich als Hoherpriester aufgetreten, so hätte ich auch anders zu ihm geredet; denn es steht ja geschrieben usw. Andere meinen, Paulus habe wegen Kurzsichtigkeit den Hohenpriester nicht erkannt, oder: Paulus habe das Befehlswort V.2 nur gehört, aber den Sprecher nicht gesehen und deshalb vermutet, ein gewöhnliches Mitglied des Hohen Rates habe die Worte gesprochen.."
6 Da nun Paulus wußte, daß der Hohe Rat teils aus Sadduzäern, teils aus Pharisäern bestand, rief er laut: "Brüder, ich bin ein Pharisäer, und auch meine Ahnen waren Pharisäer. Wegen meiner Hoffnung auf die Totenauferstehung stehe ich hier vor Gericht."
7 Diese Worte erregten einen heftigen Zwist zwischen den Pharisäern und den Sadduzäern, so daß sich die Versammlung spaltete.
8 - Die Sadduzäer leugnen nämlich die Auferstehung und das Dasein von Engeln und Geistern, während die Pharisäer beides anerkennen. -
9 Es erhob sich ein lautes Geschrei. Endlich standen einige Schriftgelehrte der pharisäischen Partei von ihren Sitzen auf und sagten in scharfem Ton: "Wir finden an diesem Menschen nichts Böses. Hat aber ein Geist oder ein Engel mit ihm geredet (nun, was läßt sich dann dagegen sagen?)."
10 Da der Oberst fürchtete, Paulus könne von den Versammelten bei dem heftigen Streit zerrissen werden, ließ er eine Abteilung Soldaten von der Burg kommen Auf der Burg Antonia hatte eine römische Kohorte von 1000 Mann ihr Standquartier, so daß der wichtige Tempelplatz stets scharf von den Römern überwacht werden konnte., die Paulus mit Gewalt aus ihrer Mitte führen und in das Lager bringen mußten.
11 Die Nacht darauf trat der Herr zu ihm und sprach: "Sei getrost! Denn wie du in Jerusalem von mir Zeugnis abgelegt hast, so mußt du auch in Rom mein Zeuge sein."
12 Am anderen Morgen taten sich einige Juden zusammen und verpflichteten sich mit schrecklichen Eiden, sie wollten nichts essen und trinken, bis sie Paulus getötet hätten.
13 Ihrer waren mehr als vierzig, die sich so verschworen.
14 Diese Männer gingen zu den Hohenpriestern und Ältesten und sprachen: "Wir haben uns feierlich verschworen, nichts zu genießen, bis wir Paulus getötet haben.
15 Werdet ihr nun zusammen mit dem Hohen Rat bei dem Obersten vorstellig, daß er ihn zu euch führen lasse, als wolltet ihr seinen Fall noch genauer untersuchen! Dann werden wir bereitstehen und ihn töten, noch ehe er hierher kommt."
16 Des Paulus Schwestersohn hörte von diesem Anschlag. Er begab sich in das Lager, trat ein und teilte Paulus alles mit.
17 Da ließ Paulus einen der Hauptleute rufen und sprach zu ihm: "Führe diesen Jüngling zu dem Obersten; denn er hat ihm etwas mitzuteilen."
18 Der brachte ihn zu dem Obersten und meldete: "Der Gefangene Paulus hat mich zu sich rufen lassen und mich gebeten, diesen Jüngling hier zu dir zu bringen, da er dir etwas zu sagen habe."
19 Der Oberst nahm den Jüngling bei der Hand, zog ihn beiseite Damit niemand das Gespräch belauschte. und fragte ihn: "Was hast du mir zu melden?"
20 Er antwortete: "Die Juden sind übereingekommen, dich zu bitten, Paulus morgen vor dem Hohen Rat erscheinen zu lassen, als wollte der seinen Fall noch genauer prüfen.
21 Geh aber nicht darauf ein! Denn über vierzig Männer aus ihrer Mitte wollen ihm auflauern. Sie haben sich feierlich verschworen, nichts zu essen und zu trinken, bis sie ihn ermordet haben. Sie stehen jetzt schon dazu bereit und warten nur noch auf deine Zustimmung."
22 Der Oberst entließ den Jüngling und schärfte ihm ein: "Plaudere es nirgends aus, daß du mir diese Anzeige gemacht hast!"
23 Dann ließ er zwei Hauptleute rufen und befahl ihnen: "Haltet von der dritten Nachtstunde an Von 9 Uhr abends an. Soldaten für einen Marsch nach Cäsarea bereit, und zwar siebzig Reiter und zweihundert Lanzenträger Mit Blaß streiche ich [diakosious] hinter [stratiootas] und [kai] vor [hippeis].!"
24 Auch stellte er Reittiere für Paulus Wahrscheinlich eins für ihn selbst und eins für sein Gepäck., damit er wohlbehalten zu dem Statthalter Felix käme Antonius Felix war ein Freigelassener des kaiserlichen Hauses. Nach Tacitus wurde er im zwölften Jahr des Kaisers Klaudius, d.h. 52 n.Chr. Statthalter von Judäa. Er glaubte, wie Tacitus von ihm sagt, alle Übeltaten ungestraft begehen zu dürfen, und mißbrauchte in der Gesinnung eines Sklaven die ihm verliehene Gewalt durch Ausschweifung und Grausamkeit..
25 Zugleich schrieb er diesem einen Brief folgenden Inhalts:
26 "Klaudius Lysias entbietet dem hochedlen Statthalter Felix seinen Gruß.
27 Der Mann, den ich hier sende, ist von den Juden festgenommen worden; und gerade in dem Augenblick, wo sie ihn töten wollten, erschien ich mit meiner Truppe und entriß ihn ihren Händen, weil ich erfahren hatte, daß er ein römischer Bürger sei Der römische Befehlshaber fälscht hier in schlauer Weise den Tatbestand (vgl. 21,31ff.; 22,55ff.)..
28 Da ich nun genau wissen wollte, was sie ihm Schuld gaben, so ließ ich ihn in ihre Ratsversammlung führen.
29 Da fand ich denn: die Anklage gegen ihn hing mit Fragen ihres Gesetzes zusammen; doch wurde ihm nichts zur Last gelegt, was den Tod oder Gefängnis verdiente.
30 Weil mir nun aber angezeigt worden ist, daß sie einen Anschlag gegen den Mann vorhaben, so habe ich ihn aus ihrer Mitte entfernt und sende ihn dir zu. Ich habe auch seinen Anklägern befohlen, ihre Beschuldigungen gegen ihn bei dir vorzubringen. Lebe wohl!"
31 Die Soldaten führten den Befehl aus: sie nahmen Paulus mit sich und brachten ihn noch in derselben Nacht bis Antipatris Der nordwestlichen Grenzstadt Judäas, etwa 60 km von Jerusalem und kaum 45 km von Cäsarea entfernt..
32 Am nächsten Tag ließen sie die Reiter allein mit ihm weiterziehen Weil nun kein plötzlicher Überfall der Juden mehr zu befürchten war., während sie selbst in das Lager Auf der Burg Antonia in Jerusalem. zurückkehrten.
33 Die Reiter übergaben nach ihrer Ankunft in Cäsarea dem Statthalter das Schreiben und führten ihm auch Paulus vor.
34 Der Statthalter las das Schreiben und fragte Paulus, aus welcher Provinz er stamme Er wollte erfahren, ob Paulus als römischer Bürger wirklich einer kaiserlichen Provinz, nicht einer senatorischen, angehöre und demnach seiner Gerichtsbarkeit unterstehe.. Als er hörte: "Aus Zilizien",
35 sagte er: "Ich will dich genau verhören, wenn auch deine Ankläger erschienen sind." Dann befahl er, Paulus solle in dem Palast des Herodes in Haft gehalten werden Der von Herodes d. Gr. in Cäsarea erbaute Palast diente damals dem römischen Statthalter als Wohnung. Die Haft des Apostels scheint übrigens verhältnismäßig leicht gewesen zu sein..