1 Paulus blickte nun den Hohen Rat fest an und sagte: »Werte Brüder! Ich habe bis heute meinen Wandel mit durchaus reinem Gewissen im Dienste Gottes geführt.«

2 Da befahl der Hohepriester Ananias den neben ihm stehenden (Gerichtsdienern), ihn auf den Mund zu schlagen.

3 Paulus aber rief ihm zu: »Dich wird Gott schlagen, du getünchte Wand! Du sitzest da, um mich nach dem Gesetz zu richten, und läßt mich unter Verletzung des Gesetzes schlagen?«

4 Da sagten die neben ihm Stehenden: »Den Hohenpriester Gottes schmähst du?«

5 Da antwortete Paulus: »Ich habe nicht gewußt, ihr Brüder, daß er Hoherpriester ist! Es steht ja geschrieben (2.Mose 22,27): ›Einen Obersten (oder: den Fürsten) deines Volkes sollst du nicht schmähen!‹«

6 Weil Paulus nun wußte, daß der eine Teil (des Hohen Rates) aus Sadduzäern, der andere aus Pharisäern bestand, rief er laut in die Versammlung hinein: »Werte Brüder! Ich bin ein Pharisäer und aus pharisäischer Familie! Wegen unserer Hoffnung, nämlich wegen der Auferstehung der Toten, stehe ich hier vor Gericht!«

7 Infolge dieser seiner Äußerung entstand ein Streit zwischen den Pharisäern und Sadduzäern, und die Versammlung spaltete sich.

8 Die Sadduzäer behaupten nämlich, es gebe keine Auferstehung, auch keine Engel und keine Geister, während die Pharisäer beides annehmen.

9 So erhob sich denn ein gewaltiges Geschrei; ja, einige Schriftgelehrte von der pharisäischen Partei standen auf, hielten Streitreden und erklärten: »Wir finden nichts Unrechtes an diesem Mann! Kann nicht wirklich ein Geist oder ein Engel zu ihm geredet haben?«

10 Als nun der Streit leidenschaftlich wurde und der Oberst befürchtete, Paulus möchte von ihnen zerrissen werden, ließ er seine Mannschaft herunterkommen, ihn aus ihrer Mitte herausreißen und in die Burg zurückführen.

11 In der folgenden Nacht aber trat der Herr zu Paulus und sagte: »Sei getrost! Denn wie du für mich in Jerusalem Zeugnis abgelegt hast, so sollst du auch in Rom Zeuge (für mich) sein!«

12 Als es aber Tag geworden war, rotteten sich die Juden zusammen und verschworen sich unter feierlicher Selbstverfluchung, weder Speise noch Trank zu sich zu nehmen, bis sie Paulus ums Leben gebracht hätten.

13 Es waren ihrer aber mehr als vierzig, die sich zu dieser Verschwörung (= diesem Schwurbund) zusammengetan hatten.

14 Diese begaben sich nun zu den Hohenpriestern und Ältesten und sagten: »Wir haben uns hoch und heilig verschworen, nichts zu genießen, bis wir Paulus ums Leben gebracht haben.

15 Werdet ihr jetzt also zusammen mit dem Hohen Rat bei dem Oberst vorstellig, er möge ihn zu euch herabführen lassen, weil ihr seine Sache noch genauer zu untersuchen gedächtet; wir halten uns dann bereit, ihn zu ermorden, noch ehe er in eure Nähe kommt.«

16 Von diesem Anschlag erhielt jedoch der Schwestersohn des Paulus Kenntnis; er begab sich deshalb hin, verschaffte sich Eingang in die Burg und machte dem Paulus Mitteilung von der Sache.

17 Da ließ Paulus einen von den Hauptleuten zu sich rufen und bat ihn: »Führe doch diesen jungen Mann zum Obersten, denn er hat ihm etwas zu melden.«

18 Der nahm ihn mit sich, führte ihn zu dem Obersten und meldete: »Der Gefangene Paulus hat mich zu sich rufen lassen und mich ersucht, diesen jungen Mann zu dir zu führen, weil er dir etwas mitzuteilen habe.«

19 Der Oberst nahm ihn darauf bei der Hand, trat (mit ihm) beiseite und fragte ihn unter vier Augen: »Was hast du mir zu melden?«

20 Da berichtete er: »Die Juden haben sich verabredet, dich zu bitten, du möchtest morgen Paulus vor den Hohen Rat hinabführen lassen, angeblich weil dieser noch eine genauere Untersuchung seiner Sache vornehmen wolle.

21 Glaube du ihnen aber nicht! Denn mehr als vierzig Männer von ihnen trachten ihm nach dem Leben; die haben sich feierlich verschworen, weder Speise noch Trank zu sich zu nehmen, bis sie ihn ermordet haben; und sie halten sich jetzt schon dazu bereit und warten nur noch auf deine Zusage.«

22 Der Oberst entließ darauf den jungen Mann mit der Weisung, niemandem zu verraten, daß er ihm diese Mitteilung gemacht habe.

23 Danach ließ er zwei von seinen Hauptleuten zu sich kommen und befahl ihnen: »Haltet zweihundert Mann für einen Marsch nach Cäsarea bereit, ferner siebzig Reiter und zweihundert Lanzenträger, von der dritten Stunde der Nacht an.«

24 Auch Reittiere sollten sie bereithalten, um Paulus beritten zu machen und ihn sicher zum Statthalter Felix zu bringen.

25 Er schrieb außerdem einen Brief folgenden Wortlauts:

26 »Ich, Klaudius Lysias, sende dem hochedlen Statthalter Felix meinen Gruß!

27 Dieser Mann war von den Juden festgenommen worden und schwebte in Gefahr, von ihnen totgeschlagen zu werden; da griff ich mit meinen Leuten ein und befreite ihn, weil ich erfahren hatte, daß er ein römischer Bürger sei.

28 Da ich nun den Grund festzustellen wünschte, weswegen sie ihn verklagten, führte ich ihn vor ihren Hohen Rat hinab.

29 Dabei fand ich, daß man ihn wegen Streitfragen über ihr Gesetz verklagte, daß aber keine Anschuldigung, auf welche Todesstrafe oder Gefängnis steht, gegen ihn vorlag.

30 Weil dann aber die Anzeige bei mir einging, daß ein Mordanschlag gegen den Mann geplant werde, habe ich ihn sofort von hier weg zu dir gesandt und zugleich seine Ankläger angewiesen, ihre Sache gegen ihn bei dir anhängig zu machen. Lebe wohl!«

31 Die Soldaten nahmen nun dem erhaltenen Befehl gemäß Paulus mit sich und brachten ihn während der Nacht nach Antipatris;

32 am folgenden Tage ließen sie dann die Reiter (allein) mit ihm weiterziehen, während sie selbst in die Burg zurückkehrten.

33 Nach ihrer Ankunft in Cäsarea händigten jene dem Statthalter das Schreiben ein und führten ihm auch den Paulus vor.

34 Nachdem der Statthalter (das Schreiben) gelesen hatte, fragte er (Paulus), aus welcher Provinz er sei; und als er erfuhr, daß er aus Cilicien stamme, erklärte er:

35 »Ich werde dich verhören, wenn auch deine Ankläger hier eingetroffen sind.« Zugleich befahl er, ihn in der Statthalterei des Herodes in Gewahrsam zu halten.

1 Paulus sah den Hohen Rat mit festem Blick an und sprach: "Liebe Brüder, bis heute bin ich stets mit reinem Gewissen vor Gott gewandelt."

2 Bei diesen Worten befahl der Hohepriester Ananias Ein roher, gewalttätiger Mann, dessen Sinnlichkeit sprichwörtlich war, und der zur Erreichung seiner Pläne sogar die Hilfe der Dolchmänner (21,38) nicht verschmähte. den anwesenden Dienern, Paulus auf den Mund zu schlagen.

3 Da sprach Paulus zu ihm: "Gott wird dich schlagen Dich strafen wegen deiner Ungerechtigkeit., du getünchte Wand Die scheinbar fest ist, aber schnell zusammenstürzen wird (Hes. 13,10-15).! Du sitzt da, um mich nach dem Gesetz zu richten, und läßt mich schlagen im Widerspruch mit dem Gesetz?"

4 "Was? Du schmähst den Hohenpriester Gottes?", so fragen ihn die Diener.

5 "Brüder", versetzte Paulus, "ich habe nicht gewußt, daß hier ein Hoherpriester ist; steht doch geschrieben: Gegen einen Oberen deines Volkes sollst du nicht übel reden 2. Mos. 22,27. Paulus will vielleicht sagen: Wie kann ein Mann, der sich so benimmt, Hoherpriester sein wollen! Wäre er wirklich als Hoherpriester aufgetreten, so hätte ich auch anders zu ihm geredet; denn es steht ja geschrieben usw. Andere meinen, Paulus habe wegen Kurzsichtigkeit den Hohenpriester nicht erkannt, oder: Paulus habe das Befehlswort V.2 nur gehört, aber den Sprecher nicht gesehen und deshalb vermutet, ein gewöhnliches Mitglied des Hohen Rates habe die Worte gesprochen.."

6 Da nun Paulus wußte, daß der Hohe Rat teils aus Sadduzäern, teils aus Pharisäern bestand, rief er laut: "Brüder, ich bin ein Pharisäer, und auch meine Ahnen waren Pharisäer. Wegen meiner Hoffnung auf die Totenauferstehung stehe ich hier vor Gericht."

7 Diese Worte erregten einen heftigen Zwist zwischen den Pharisäern und den Sadduzäern, so daß sich die Versammlung spaltete.

8 - Die Sadduzäer leugnen nämlich die Auferstehung und das Dasein von Engeln und Geistern, während die Pharisäer beides anerkennen. -

9 Es erhob sich ein lautes Geschrei. Endlich standen einige Schriftgelehrte der pharisäischen Partei von ihren Sitzen auf und sagten in scharfem Ton: "Wir finden an diesem Menschen nichts Böses. Hat aber ein Geist oder ein Engel mit ihm geredet (nun, was läßt sich dann dagegen sagen?)."

10 Da der Oberst fürchtete, Paulus könne von den Versammelten bei dem heftigen Streit zerrissen werden, ließ er eine Abteilung Soldaten von der Burg kommen Auf der Burg Antonia hatte eine römische Kohorte von 1000 Mann ihr Standquartier, so daß der wichtige Tempelplatz stets scharf von den Römern überwacht werden konnte., die Paulus mit Gewalt aus ihrer Mitte führen und in das Lager bringen mußten.

11 Die Nacht darauf trat der Herr zu ihm und sprach: "Sei getrost! Denn wie du in Jerusalem von mir Zeugnis abgelegt hast, so mußt du auch in Rom mein Zeuge sein."

12 Am anderen Morgen taten sich einige Juden zusammen und verpflichteten sich mit schrecklichen Eiden, sie wollten nichts essen und trinken, bis sie Paulus getötet hätten.

13 Ihrer waren mehr als vierzig, die sich so verschworen.

14 Diese Männer gingen zu den Hohenpriestern und Ältesten und sprachen: "Wir haben uns feierlich verschworen, nichts zu genießen, bis wir Paulus getötet haben.

15 Werdet ihr nun zusammen mit dem Hohen Rat bei dem Obersten vorstellig, daß er ihn zu euch führen lasse, als wolltet ihr seinen Fall noch genauer untersuchen! Dann werden wir bereitstehen und ihn töten, noch ehe er hierher kommt."

16 Des Paulus Schwestersohn hörte von diesem Anschlag. Er begab sich in das Lager, trat ein und teilte Paulus alles mit.

17 Da ließ Paulus einen der Hauptleute rufen und sprach zu ihm: "Führe diesen Jüngling zu dem Obersten; denn er hat ihm etwas mitzuteilen."

18 Der brachte ihn zu dem Obersten und meldete: "Der Gefangene Paulus hat mich zu sich rufen lassen und mich gebeten, diesen Jüngling hier zu dir zu bringen, da er dir etwas zu sagen habe."

19 Der Oberst nahm den Jüngling bei der Hand, zog ihn beiseite Damit niemand das Gespräch belauschte. und fragte ihn: "Was hast du mir zu melden?"

20 Er antwortete: "Die Juden sind übereingekommen, dich zu bitten, Paulus morgen vor dem Hohen Rat erscheinen zu lassen, als wollte der seinen Fall noch genauer prüfen.

21 Geh aber nicht darauf ein! Denn über vierzig Männer aus ihrer Mitte wollen ihm auflauern. Sie haben sich feierlich verschworen, nichts zu essen und zu trinken, bis sie ihn ermordet haben. Sie stehen jetzt schon dazu bereit und warten nur noch auf deine Zustimmung."

22 Der Oberst entließ den Jüngling und schärfte ihm ein: "Plaudere es nirgends aus, daß du mir diese Anzeige gemacht hast!"

23 Dann ließ er zwei Hauptleute rufen und befahl ihnen: "Haltet von der dritten Nachtstunde an Von 9 Uhr abends an. Soldaten für einen Marsch nach Cäsarea bereit, und zwar siebzig Reiter und zweihundert Lanzenträger Mit Blaß streiche ich [diakosious] hinter [stratiootas] und [kai] vor [hippeis].!"

24 Auch stellte er Reittiere für Paulus Wahrscheinlich eins für ihn selbst und eins für sein Gepäck., damit er wohlbehalten zu dem Statthalter Felix käme Antonius Felix war ein Freigelassener des kaiserlichen Hauses. Nach Tacitus wurde er im zwölften Jahr des Kaisers Klaudius, d.h. 52 n.Chr. Statthalter von Judäa. Er glaubte, wie Tacitus von ihm sagt, alle Übeltaten ungestraft begehen zu dürfen, und mißbrauchte in der Gesinnung eines Sklaven die ihm verliehene Gewalt durch Ausschweifung und Grausamkeit..

25 Zugleich schrieb er diesem einen Brief folgenden Inhalts:

26 "Klaudius Lysias entbietet dem hochedlen Statthalter Felix seinen Gruß.

27 Der Mann, den ich hier sende, ist von den Juden festgenommen worden; und gerade in dem Augenblick, wo sie ihn töten wollten, erschien ich mit meiner Truppe und entriß ihn ihren Händen, weil ich erfahren hatte, daß er ein römischer Bürger sei Der römische Befehlshaber fälscht hier in schlauer Weise den Tatbestand (vgl. 21,31ff.; 22,55ff.)..

28 Da ich nun genau wissen wollte, was sie ihm Schuld gaben, so ließ ich ihn in ihre Ratsversammlung führen.

29 Da fand ich denn: die Anklage gegen ihn hing mit Fragen ihres Gesetzes zusammen; doch wurde ihm nichts zur Last gelegt, was den Tod oder Gefängnis verdiente.

30 Weil mir nun aber angezeigt worden ist, daß sie einen Anschlag gegen den Mann vorhaben, so habe ich ihn aus ihrer Mitte entfernt und sende ihn dir zu. Ich habe auch seinen Anklägern befohlen, ihre Beschuldigungen gegen ihn bei dir vorzubringen. Lebe wohl!"

31 Die Soldaten führten den Befehl aus: sie nahmen Paulus mit sich und brachten ihn noch in derselben Nacht bis Antipatris Der nordwestlichen Grenzstadt Judäas, etwa 60 km von Jerusalem und kaum 45 km von Cäsarea entfernt..

32 Am nächsten Tag ließen sie die Reiter allein mit ihm weiterziehen Weil nun kein plötzlicher Überfall der Juden mehr zu befürchten war., während sie selbst in das Lager Auf der Burg Antonia in Jerusalem. zurückkehrten.

33 Die Reiter übergaben nach ihrer Ankunft in Cäsarea dem Statthalter das Schreiben und führten ihm auch Paulus vor.

34 Der Statthalter las das Schreiben und fragte Paulus, aus welcher Provinz er stamme Er wollte erfahren, ob Paulus als römischer Bürger wirklich einer kaiserlichen Provinz, nicht einer senatorischen, angehöre und demnach seiner Gerichtsbarkeit unterstehe.. Als er hörte: "Aus Zilizien",

35 sagte er: "Ich will dich genau verhören, wenn auch deine Ankläger erschienen sind." Dann befahl er, Paulus solle in dem Palast des Herodes in Haft gehalten werden Der von Herodes d. Gr. in Cäsarea erbaute Palast diente damals dem römischen Statthalter als Wohnung. Die Haft des Apostels scheint übrigens verhältnismäßig leicht gewesen zu sein..