1 Die Hungersnot lag aber schwer auf dem Lande.
2 Als nun das Getreide, das sie aus Ägypten geholt hatten, vollständig aufgezehrt war, sagte ihr Vater zu ihnen: »Zieht noch einmal hin und kauft uns etwas Getreide zur Nahrung!«
3 Da antwortete ihm Juda: »Der Mann hat uns eindringlich gewarnt mit den Worten: ›Ihr dürft mir nicht mehr vor die Augen treten, wenn euer Bruder nicht bei euch ist!‹
4 Willst du uns also unsern Bruder mitgeben, dann wollen wir hinabziehen und Lebensmittel für dich kaufen;
5 willst du ihn aber nicht mitgehen lassen, so ziehen wir nicht hinab; denn der Mann hat uns gesagt: ›Ihr dürft mir nicht vor die Augen treten, wenn euer Bruder nicht bei euch ist!‹«
6 Da sagte Israel: »Warum habt ihr mir das zuleide getan, dem Manne mitzuteilen, daß ihr noch einen Bruder habt?«
7 Sie antworteten: »Der Mann erkundigte sich genau nach uns und unserer Familie und fragte: ›Lebt euer Vater noch? Habt ihr noch einen Bruder?‹ Da haben wir ihm auf seine Fragen Auskunft gegeben. Konnten wir denn wissen, daß er verlangen würde: ›Bringt euren Bruder her‹?«
8 Juda aber sagte zu seinem Vater Israel: »Laß den Knaben mit mir gehen; dann wollen wir uns auf den Weg machen und hinziehen, damit wir am Leben bleiben und nicht verhungern, weder wir selbst noch du und unsere Familien!
9 Ich will Bürge für ihn sein; von meiner Hand sollst du ihn zurückfordern! Wenn ich ihn nicht wieder zu dir bringe und ihn dir nicht vor die Augen stelle, so will ich Zeit meines Lebens schuldbeladen vor dir dastehen!
10 Ja, hätten wir nicht so lange gezögert, gewiß, wir wären jetzt schon zweimal wieder zurückgekehrt.«
11 Da erwiderte ihnen ihr Vater Israel: »Wenn es denn sein muß, so macht es folgendermaßen: Nehmt von den besten Erzeugnissen des Landes etwas in euren Säcken mit und überbringt es dem Manne als Geschenk: etwas Mastixbalsam und etwas Honig, Gewürzkräuter und Ladanum, Pistaziennüsse und Mandeln!
12 Außerdem nehmt an Geld den doppelten Betrag mit! Denn auch das Geld, das sich oben in euren Säcken wiedergefunden hat, müßt ihr wieder mit euch nehmen: vielleicht liegt ein Versehen vor.
13 Auch euren Bruder nehmt mit und macht euch auf den Weg und zieht wieder hin zu dem Manne!
14 Der allmächtige Gott aber lasse euch Erbarmen bei dem Manne finden, daß er euren andern Bruder wieder mit euch ziehen läßt und auch Benjamin! Ich aber – wie ich einstmals kinderlos gewesen bin, so habe ich auch jetzt wieder keine Kinder!«
15 So nahmen denn die Männer das betreffende Geschenk und den doppelten Betrag an Geld mit sich, dazu auch den Benjamin, machten sich auf den Weg, zogen nach Ägypten hinab und traten vor Joseph.
16 Als nun Joseph den Benjamin bei ihnen sah, befahl er seinem Hausverwalter: »Führe die Männer ins Haus hinein, laß ein Schlachttier schlachten und richte zu, denn die Männer sollen zu Mittag bei mir speisen.«
17 Der Mann tat, wie Joseph ihm befohlen hatte, und führte die Männer in Josephs Haus.
18 Da fürchteten sie sich, daß sie in das Haus Josephs geführt wurden, und dachten: »Wegen des Geldes, das vorigesmal wieder in unsere Säcke geraten ist, werden wir hineingeführt: man will sich auf uns stürzen, uns überwältigen und uns zu Sklaven machen samt unsern Eseln.«
19 Darum traten sie an den Hausverwalter Josephs heran und redeten ihn noch am Eingang des Hauses so an:
20 »Bitte, mein Herr! Wir sind schon einmal hergekommen, um Lebensmittel zu kaufen.
21 Als wir dann aber in die Herberge gekommen waren und unsere Säcke öffneten, da fand sich das Geld eines jeden oben in seinem Sack, unser Geld in vollem Betrage. Darum haben wir es jetzt wieder mitgebracht,
22 haben aber auch noch anderes Geld bei uns, um Lebensmittel zu kaufen. Wir wissen nicht, wer uns damals unser Geld in unsere Säcke gelegt hat.«
23 Da antwortete jener: »Seid unbesorgt, ihr habt nichts zu fürchten! Euer Gott und eures Vaters Gott hat euch da heimlich einen Schatz in eure Säcke gelegt; euer Geld ist richtig an mich gekommen.« Dann führte er Simeon zu ihnen heraus.
24 Hierauf ließ er die Männer in das Haus Josephs eintreten, gab ihnen Wasser zum Füßewaschen und ließ ihren Eseln Futter geben.
25 Sie legten aber das Geschenk zurecht und warteten dann, bis Joseph zur Mittagszeit kommen würde; sie hatten nämlich gehört, daß sie dort speisen sollten.
26 Als nun Joseph nach Hause gekommen war, brachten sie ihm das Geschenk, das sie bei sich hatten, ins Zimmer hinein und verneigten sich vor ihm bis zur Erde.
27 Er begrüßte sie freundlich und fragte sie: »Geht es eurem alten Vater wohl, von dem ihr mir erzählt habt? Ist er noch am Leben?«
28 Sie antworteten: »Deinem Knecht, unserm Vater, geht es wohl; ja, er ist noch am Leben.« Dabei verbeugten sie sich wiederholt tief.
29 Als er dann hinblickte und Benjamin, seinen Vollbruder, den Sohn seiner eigenen Mutter, sah, fragte er: »Ist dies euer jüngster Bruder, von dem ihr mir erzählt habt?« Dann fügte er hinzu: »Gott sei dir gnädig, mein Sohn!«
30 Hierauf aber brach Joseph schnell ab, denn sein Gefühl überwältigte ihn beim Anblick seines Bruders, so daß er weinen mußte; er ging deshalb ins Innengemach und weinte sich dort aus.
31 Dann wusch er sich das Gesicht und kam wieder heraus, nahm sich zusammen und befahl: »Tragt das Essen auf!«
32 Da trug man für ihn besonders auf und für sie besonders und auch für die Ägypter, die bei ihm speisten, besonders; denn die Ägypter dürfen nicht mit den Hebräern zusammen speisen, weil das für die Ägypter eine Verunreinigung sein würde.
33 Sie hatten aber ihre Plätze nach seiner Anweisung, vom Ältesten bis zum Jüngsten, genau nach ihrem Alter; darüber sahen sie sich einander verwundert an.
34 Hierauf ließ er von den vor ihm stehenden Gerichten Anteile zu ihnen hintragen; es war aber dessen, was man Benjamin vorlegte, fünfmal so viel, als was man allen anderen vorlegte. Und sie tranken mit ihm und wurden guter Dinge.
1 Der Hunger lastete schwer auf dem Lande.
2 Als sie nun das aus Ägypten mitgebrachte Getreide ganz aufgezehrt hatten, sprach ihr Vater zu ihnen: "Geht noch einmal und kauft uns etwas Nahrungsvorrat!"
3 Juda antwortete ihm: "Der Mann hat uns nachdrücklichst eingeschärft: "Ihr dürft nicht mehr vor mein Antlitz treten, es sei denn, euer Bruder ist bei euch."
4 Wenn du also unseren Bruder mit uns schickst, dann wollen wir hinabziehen und dir Nahrung besorgen.
5 Wenn du ihn aber nicht mitschickst, dann ziehen wir auch nicht hinab; denn jener Mann hat zu uns gesagt: "Ihr dürft mein Angesicht nicht sehen, es sei denn, daß euer Bruder bei euch ist.""
6 Israel entgegnete darauf: "Warum habt ihr mir dieses Leid zugefügt und dem Manne überhaupt gesagt, daß ihr noch einen Bruder habt?"
7 Sie antworteten: "Neugierig hat der Mann nach uns und der Verwandtschaft gefragt: "Lebt euer Vater noch? Habt ihr noch einen Bruder?" Da haben wir ihm der Wahrheit gemäß Auskunft gegeben. Konnten wir denn ahnen, daß er sagen würde: "Bringt mir euren Bruder her"?"
8 Juda bat seinen Vater Israel: "Schicke doch den Knaben mit mir; dann wollen wir aufbrechen und hinziehen. Wir werden alsdann am Leben bleiben und nicht sterben, weder wir selbst noch du und unsere Kinder.
9 Ich verbürge mich für ihn. Von meiner Hand magst du ihn zurückfordern. Wenn ich ihn dir nicht zurückbringe und vor dein Angesicht stelle, dann will ich immerdar vor dir in Schuld sein.
10 Hätten wir nicht so lange gezaudert, so wären wir schon zum zweitenmal zurück."
11 Ihr Vater Israel sprach zu ihnen: "Wenn es so steht, dann tut folgendes: Nehmt von den besten Erzeugnissen des Landes in eure Säcke und bringt sie dem Manne als ein Geschenk: etwas Balsam, etwas Honig, Tragakant und Ladanum, Pistazien und Mandeln!
12 Nehmt auch Geld entsprechend dem Kaufpreis mit; das Geld, das man oben in eure Säcke gelegt hat, bringt wieder zurück! Vielleicht war es ein Irrtum.
13 Dann nehmt euren Bruder, brecht auf und tretet wieder hin vor den Mann!
14 Der Allmächtige Gott schenke euch Barmherzigkeit vor dem Manne! Er übergebe euch euren anderen Bruder und auch Benjamin. Ich aber bin kinderlos, kinderlos!"
15 Die Männer nahmen das Huldigungsgeschenk und den doppelten Geldbetrag in ihre Hand, dazu den Benjamin. Dann brachen sie auf, zogen nach Ägypten hinab und traten vor Joseph hin.
16 Joseph sah bei ihnen den Benjamin. Er sagte zu seinem Hausverwalter: "Führe die Leute ins Haus, laß schlachten und zurüsten! Denn die Männer sollen am Mittag mit mir speisen."
17 Der Mann tat, wie ihm Joseph befohlen hatte, und führte die Leute in Josephs Haus.
18 Da gerieten die Männer in Angst, weil sie in Josephs Haus geschafft wurden, und sprachen: "Es geschieht des Geldes wegen, das vordem in unsere Säcke gekommen ist, daß man uns dorthin bringt. Man wird sich auf uns stürzen, wird über uns herfallen und uns zu Sklaven machen mitsamt unseren Eseln."
19 Sie traten also an den Hausverwalter Josephs heran und verhandelten mit ihm am Hauseingang.
20 Sie sprachen: "Bitte, Herr! Schon früher einmal sind wir hergekommen, um Nahrungsvorrat zu kaufen.
21 Wir kamen zur Herberge, öffneten unsere Kornsäcke, und siehe da, eines jeden Geldbetrag lag oben in seinem Sack, unser Geld nach seinem vollen Gewicht. Wir brachten es wieder zurück.
22 Wir haben auch noch anderes Geld bei uns, Getreide zu besorgen. Wir wissen nicht, wer unser Geld wieder in unsere Säcke hineingelegt hat."
23 Er antwortete: "Es ist schon gut. Seid nicht bange, euer Gott und der Gott eures Vaters hat einen Schatz in eure Säcke hineingetan. Das Geld kam richtig an mich." Dann brachte er ihnen den Simeon heraus.
24 Die Männer führte er in Josephs Haus, reichte ihnen Wasser zum Füßewaschen und gab ihren Eseln Futter.
25 Sie aber richteten bis zu Josephs Ankunft um die Tagesmitte das Huldigungsgeschenk her; denn sie hatten erfahren, daß sie dort essen sollten.
26 Joseph kam in das Haus, sie brachten ihm das Geschenk, das sie bei sich hatten, und verneigten sich vor ihm bis zum Boden.
27 Er aber erkundigte sich nach ihrem Befinden und fragte: "Geht es eurem greisen Vater, von dem ihr erzählt habt, gut? Ist er noch am Leben?"
28 Sie antworteten: "Es geht deinem Knechte, unserem Vater, gut; er ist noch am Leben." Dabei verneigten sie sich und warfen sich nieder.
29 Als er aufblickte und seinen Bruder Benjamin, den Sohn seiner Mutter sah, sprach er: "Ist dies euer jüngster Bruder, von dem ihr mir erzählt habt?" Er sprach: "Gott erweise seine Huld an dir, mein Sohn!"
30 Dann aber eilte Joseph davon, denn sein Inneres ward seines Bruders wegen aufgewühlt. Die Tränen kamen ihm; er ging in die Kammer und weinte dort.
31 Dann wusch er sein Antlitz, kam wieder heraus und beherrschte sich. Dann sprach er: "Tragt das Essen auf!"
32 Man trug auf; und zwar ihm besonders und ihnen besonders und den Ägyptern, die mit ihm aßen, wieder besonders. Die Ägypter dürfen nämlich nicht mit den Hebräern speisen; denn das gilt den Ägyptern als Greuel.
33 Sie nahmen nun vor ihm Platz: der Erstgeborene nach seiner Erstgeburt und der Jüngste nach seiner Jugend. Darob schauten die Männer einander verwundert an.
34 Da ließ er ihnen Gerichte von dem, was vor ihm stand, bringen. Der Anteil Benjamins war fünfmal so groß wie die Anteile aller übrigen. Sie tranken mit ihm und wurden guter Dinge.