1 Und darnach ging Jesus in Galiläa umher, denn er wollte nicht in Judäa umhergehen, dieweil die Juden ihn zu töten suchten.
2 Es war aber nahe der Juden Fest der Laubhütten.
3 Da sprachen seine Brüder zu ihm: Ziehe fort von hier, und gehe nach Judäa, damit auch deine Brüder deine Werke sehen, die du tust.
4 Denn niemand tut so etwas im Verborgenen, und sucht doch selbst öffentlich anerkannt zu sein. Wenn du solches tust, so offenbare dich der Welt.
5 Denn nicht einmal seine Brüder glaubten an ihn.
6 Da sagt ihnen Jesus: Meine Zeit ist noch nicht da; eure Zeit ist aber immer vorhanden.
7 Die Welt kann euch nicht hassen, mich aber haßt sie, denn ich zeuge von ihr, daß ihre Werke böse sind.
8 Gehet ihr hinauf zu dem Fest; ich gehe nicht hinauf zu diesem Fest, {Diese Stelle ist in doppelter Beziehung sehr merkwürdig, 1) ist sie einer der stärksten Beweis für die Echtheit des Evangeliums Johannis, denn ein Fälscher hätte sie nie geschrieben, 2) beweist sie zusammen mit Vers 10, daß der Jesus des vierten Evangeliums durchaus nicht der allesvorauswissende und unabänderliche Gott ist, welchen die starre Orthodoxie aus ihm gemacht hat. Jesus hat offenbar nachher seinen Entschluß geändert, und ist doch gegangen, trotzdem er bestimmt gesagt hatte, er gehe nicht. dies kann vielen als Schwäche erscheinen, wie ja auch der heidnische Porphyrus Christo hier Mangel an Beständigkeit - den Römern ein besonderer Greuel - vorwarf, um ihn herabzusetzen. Wer freilich weiß, wie viele Sünden und Verbrechen die Menschen aus falscher Standhaftigkeit, und um ihr vielleicht übereilt gegebenes Wort nicht zu brechen, begangen haben (man denke nur an Herodes, bei der Enthauptung des Täufers), der wird Gott danken, daß uns Jesus ein Vorbild gelassen hat, wie wir im demütigen Gehorsam gegen den Willen des Vaters auch bestimmt ausgesprochene Entschlüsse ändern dürfen und sollen.} denn meine Zeit ist noch nicht erfüllt.
9 Solches sprach er zu ihnen, und blieb in Galiläa.
10 Als aber seine Brüder hinausgegangen waren, da ging auch er hinauf zu dem Fest, nicht offenbarlich, sondern wie im Verborgenen. {Dies ist vielleicht der Grund, warum die drei ersten Evangelien von einer Reise Jesu zum Laubhüttenfest nichts berichteten.}
11 Die Juden nun suchten ihn an dem Feste, und sagten: Wo ist derselbe?
12 Und es war viel Murmeln seinetwegen unter den Volkshaufen. Die einen sagten: Er ist gut; andere sagten: Nein, sondern er verführt das Volk.
13 Niemand aber redete offen von ihm, aus Furcht vor den Juden.
14 Als aber schon die Mitte des Festes war, ging Jesus hinauf in den Tempel, und lehrte.
15 Und die Juden verwunderten sich, und sprachen: Wie kommt´s, daß dieser gelehrt ist, und hat doch nicht studiert.
16 Da antwortete ihnen Jesus, und sprach: Meine Lehre ist nicht mein, sondern dess´ der mich gesandt hat.
17 Wenn jemand dessen Willen tun will, der wird erfahren inbetreff der Lehre, ob sie aus Gott ist, oder ob ich von mir aus rede.
18 Wer von sich aus redet, der sucht sich selbst zu verherrlichen, wer aber die Verherrlichung dessen sucht, der ihn gesandt hat, der ist wahr, und ist keine Ungerechtigkeit an ihm.
19 Hat euch nicht Moses das Gesetz gegeben? Und niemand unter euch tut das Gesetz. Warum suchet ihr mich zu töten?
20 Der Volkshaufe antwortete, und sprach: Du hast einen Dämon. {d. h. du bist besessen oder wahnsinnig.} Wer sucht dich zu töten?
21 Jesus antwortete, und sprach zu ihnen: Ein einziges Werk habe ich getan, und ihr alle verwundert euch deswegen.
22 Moses hat euch die Beschneidung gegeben - nicht daß sie von Moses herrührt, sondern von den Vätern - und am Sabbat beschneidet ihr einen Menschen.
23 Wenn ein Mensch die Beschneidung am Sabbat empfängt, damit das Gesetz Mosis nicht gebrochen werde, zürnet ihr mir, daß ich einen ganzen Menschen am Sabbat gesund gemacht habe?
24 Richtet nicht nach dem Augenschein, sondern richtet ein gerechtes Gericht.
25 Da sagten etliche von den Jerusalemiten: Ist dieser nicht der, den sie zu töten suchen?
26 Und siehe, er redet öffentlich, und sie sagen nichts; haben etwa die Obersten gewiß erkannt, daß er der Messias ist?
27 Aber von diesem wissen wir, woher er ist; aber wann der Messias kommt, so weiß niemand, woher er ist. -
28 Da rief Jesus, als er im Tempel lehrte, und sprach: Ja ihr kennet mich, und wisset, woher ich bin; und von mir selbst bin ich doch nicht gekommen, sondern es ist ein Wahrhaftiger, der hat mich gesandt, welchen ihr nicht kennet.
29 Ich kenne ihn, denn ich bin von ihm, und er hat mich gesandt.
30 Da suchten sie ihn zu greifen, und niemand legte die Hand an ihn, denn seine Stunde war noch nicht gekommen.
31 Viele aber aus dem Volkshaufen glaubten an ihn und sagten: Wird der Messias, wann er gekommen ist, mehr Zeichen tun, als dieser getan hat?
32 Die Pharisäer hörten, daß das Volk solches über ihn murmelte; und die Pharisäer und die Hohenpriester sandten Diener, daß sie ihn greifen sollten.
33 Da sprach Jesus: Noch eine kleine Zeit bin ich bei euch, dann gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat.
34 Ihr werdet mich suchen und nicht finden; und wo ich bin, da könnt ihr nicht hinkommen.
35 Da sagten die Juden zu einander: Wo will dieser hingehen, daß wir ihn nicht finden sollen? Er wird doch nicht zu den zerstreuten Glaubensgenossen unter die Griechen gehen, und die Griechen lehren?
36 Was soll das Wort heißen, das er gesagt hat: Ihr werdet mich suchen, und nicht finden, und wo ich bin, da könnt ihr nicht hinkommen.
37 Am letzten großen Tage des Festes stund Jesus, rief, und sprach: Wenn jemand dürstet, der komme zu mir und trinke!
38 Wer an mich glaubt, (für den ist´s) wie die Schrift sagt: "Ströme lebendigen Wassers werden aus seinem Leibe fließen."
39 Da sagte er aber von dem Geist, welchen empfangen sollten, die an ihn glauben; denn es war noch kein heiliger Geist, {Wie läßt sich hiermit die vor= und überweltliche Dreieinigkeitslehre des Mittelalters vereinigen? - Nach dem ganzen sinne der h. Schrift ist der h. Geist nicht eine dritte Person in der Gottheit, sondern der nach der Verklärung Jesu über die Gläubigen ausgegossenen und in ihnen waltende, neue Geist Gottes und Christi. Die Negation ist nicht bedingt, wie sonst oft, sondern absolut und steht im Griechischen am Anfang des Satzes, so daß die vorherige Existenz des neutestamentlichen "heiligen Geistes" in schärfster Weise negiert ist.} weil Jesus noch nicht verherrlicht war.
40 Manche nun von dem Volkshaufen, welche diese Worte hörten, sprachen: Dieser ist wahrhaftig der Prophet.
41 Andere sagten: Dieser ist der Messias. Andere aber sprachen: Soll denn der Messias aus Galiläa kommen?
42 Hat nicht die Schrift gesagt, daß der Messias aus dem Samen Davids und vom Flecken Bethlehem, wo David war, kommt?
43 Also ward eine Zwietracht unter dem Volkshaufen seinetwegen.
44 Etliche aber von ihnen wollten ihn greifen, doch keiner legte die Hände an ihn.
45 Da kamen die Diener zu den hohen Priestern und Pharisäern, und diese sagten ihnen: Warum habt ihr ihn nicht mitgebracht?
46 Die Diener antworteten: Noch nie hat ein Mensch geredet, wie dieser Mensch.
47 Da antworteten die Pharisäer: Seid ihr auch verführt worden?
48 Glaubt jemand von den Obersten an ihn, oder von den Pharisäern?
49 Sondern dieser Volkshaufe, der das Gesetz nicht kennt! die sind verflucht!
50 Nikodemus, der [bei der Nacht zu ihm kam, und] einer von ihnen war, sagt zu ihnen:
51 Richtet unser Gesetz den Menschen, wenn man ihn nicht zuvor verhört hat, und weiß, was er tut?
52 Sie antworteten, und sagten ihm: Bist du auch aus Galiläa? Forsche und siehe, daß kein Prophet aus Galiläa aufsteht.