19 Es war ein Reicher Mann, der kleidete sich in Purpur und Byssus, und lebte alle Tage herrlich und in Freuden.

20 Es war aber ein Armer, mit Namen Lazarus, der lag vor seiner Türe, voll Geschwüren,

21 Und begehrte sich zu sättigen von den Brotsamen, die von des Reichen Tische fielen. Aber es kamen auch die Hunde, und beleckten seine Schwären.

22 Es geschah aber, daß der Arme starb, und von den Engeln an Abrahams Busen getragen wurde. Der Reiche aber starb auch, und wurde bestattet.

23 Und als er in der Totengruft {Im Griechischen steht "Hades", was sogar von heidnischen Schriftstellern (Äsch. Ag. 653 heißt es z. B. hades pontios Tod oder Begräbnis im Meer) oft im Sinne von "Grab" gebraucht wird. Das hebräische Wort scheol aber, welches Jesus gebrauchte, ist nicht die mittelalterliche Hölle, sondern, wie wir übersetzt haben, die Totengruft, wo Finsternis und Stillschweigen herrscht und wo Maden das Bett und Würmer die Decke sind (Vgl. Hiob 10,21; Ps 6,6; 88,11-13; 115,17; Pred 9,5.6.10; Jes 14,11; 26,14; 38,18.19 u.v.a. Stellen) Beeinflußt von der kirchlichen Orthodoxie glaubte ich früher annehmen zu müssen, daß Jesus mit poetischer Freiheit in seinem Gleichnis den zweiten Teil des Dramas in die Scheol verlege, ohne daß er selbst an ein Leben in derselben dachte. Nähere Überlegung hat mir aber gezeigt, daß eine solche Annahme gar nicht nötig ist, und daß die Sache viel einfacher liegt. "Als er im Grab (Scheol) seine Augen aufhob" ist im Sinne Jesu gleichbedeutend mit "Als er nun aus dem Tode erwachte" oder auferstund und sich (im Tal Hinnom) in Qualen befand x. Die messianischen Erwartungen und Anschauungen Jesu und seiner Zeitgenossen bilden auch hier die Grundvoraussetzung des Gleichnisses. Es ist ja auch nirgends von unsterblichen Seelen, sondern nur von Gliedern und Bedürfnissen des Leibes die Rede. Der reiche Mann hat Augen, eine Zunge, Schmerzen im Feuer, Durst nach Wasser x. Abraham hat einen Busen, und Lazarus hat Finger x. Nach Matth 8,11 und der ganzen Anschauung Jesu haben wir uns Lazarus beim Freudenmahl im Messiasreich an der Ehrenseite Abrahams zu denken, ähnlich wie Johannes beim Mahl am Busen Jesu lag (Joh 13,23), wenigstens ist beidemale derselbe Ausdruck kolpos gebraucht. Die platonische heidnische und mittelalterlich orthodoxe Auffassung von Himmel, Hölle und Fegefeuer liegt diesem Gleichnis ganz fern und darf darum nicht in dasselbe hineingetragen werden. Wer dies doch tut, der betrübt sich selbst und andere.} seine Augen aufhob, und sich in Qualen befand, sah er Abraham von ferne, und Lazarus an seinem Busen,

24 Und er rief und sprach: Vater Abraham, erbarme dich meiner, und sende Lazarus, daß er die Spitze seines Fingers ins Wasser tauche, und kühle meine Zunge, denn ich leide Pein in dieser Flamme.

25 Abraham aber sprach: Kind, erinnere dich, daß du dein Gutes in deinem Leben empfangen hast, gleichwie Lazarus das Schlimme. Nun aber wird er hier (im Messiasreich) getröstet, und du gepeinigt.

26 Und über das alles ist zwischen uns und euch eine große Kluft befestigt, so daß die da wollen von hinnen zu euch hinübersteigen, es nicht können, noch die von dort zu uns herüberkommen.

27 Da sprach er: So bitte ich dich, Vater, daß du ihn sendest in das Haus meines Vaters,

28 Denn ich habe fünf Brüder; damit er ihnen bezeuge, auf daß sie nicht auch kommen an diesen Ort der Qual. {Im Tal Hinnom.}

29 Abraham aber sagt ihm: Sie haben Moses und die Propheten; laß sie diese hören.

30 Er aber sprach: Nein, Vater Abraham, sondern wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, werden sie ihre Gesinnung ändern.

31 Er aber sprach zu ihm: Wenn sie Moses und die Propheten nicht hören, dann werden sie sich nicht überzeugen lassen, selbst wenn einer von den Toten auferstünde. {Man beachte, von einer bloßen Geistererscheinung weiß Jesus durchaus nichts. - Vielleicht will er die Möglichkeit einer Totenerscheinung überhaupt leugnen; jedenfalls aber konnte er sich solche ohne Auferstehung von (genauer: aus) den Toten nicht denken.}